Mischt mensch einen Viertelliter anregende Literatur, 300 ml gute Gespräche und 200 ml Experimentierfreude mit dem Masterstudiengang Kulturpublizistik der Zürcher Hochschule der Künste, entsteht Lit.re – ein Literaturpodcast, in dem acht Studentinnen Bücher vorstellen, die sie bewegt, begeistert, beschäftigt haben. Quer durch die Genres und Gegenwartsdiskurse hinweg wird ein literarisches Werk diskutiert, das einer von ihnen besonders ans Herz gewachsen, aber auch für die Hörer:innen unbedingt lesenswert ist. Versprochen.
* Entstanden im Seminar «Rezensionen» in der Masterclass Kulturpublizistik, ZHdK, betreut von Christoph Keller
#1 Vererbtes Trauma - über das Auslöschen von Identität und Herkunft:
Karla wächst als Tochter eines armenischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bremen-Nord auf. Über die armenische Herkunft der Familie wird seit mehreren Generationen geschwiegen. Erst mit dem Tod der Grossmutter begibt sich Karla auf eine Spurensuche, die sie weit in die armenisch-türkische Geschichte zurückführt. In ihrem vielstimmigen Debütroman verwebt Laura Cwiertnia die persönlichen Schicksale einer Familie mit der Geschichte der armenischen Unterdrückung. Karolina Sarre und Susanna Bosch sprechen darüber, wie sich die Autorin erzähltechnisch geschickt an den Völkermord, den Kern eines Familientraumas, herantastet. Von Susanna Bosch, mit Karolina Sarre als Host, und mit Lesungen von Anja Jeitner.
* Laura Cwiertnia, Auf der Strasse heissen wir anders, Klett-Kotta, 2022
#2 Feminismus, Forschung und Liebe
Die Chemikerin Elizabeth Zott versucht sich in den 1950er und 1960er Jahren in Südkalifornien in einer von Männern dominierten Forschungswelt zu behaupten. Nach dem Tod von ihrem Freund, dem Starchemiker Calvin Evans, bricht ihre Welt zusammen. Im Nachhinein erfährt sie auch noch, dass sie schwanger ist. Schwere Zeiten brechen an, doch zufällige Begegnungen führen sie in ein TV-Studio und kurze Zeit später steht sie bei einer Kochshow vor der Kamera. Doch bei «Essen um Sechs» geht es um Chemie statt um Rezepte. Sie verzaubert die Zuschauer:innen im Laborkittel und ermutigt Frauen, ihre Träume zu verfolgen. Von Karolina Sarre, mit Susanna Bosch als Host.
* Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie, Piper, 2022
#3 Party, Pop & Plottwists
In dieser Folge sprechen Marie und Leila über ein Debüt, das es in sich hat. Die Künstlerin Calla Henkel bringt die Genres Roman und Thriller gekonnt unter einen Hut und erzählt die Geschichte von Zoe und Hailey, zwei New Yorker Kunststudentinnen in Berlin. Obwohl es in den Nullerjahren spielt, ist das Buch mehr als gegenwärtig, findet Marie, die es als Lektorin in- und auswendig kennt. Denn es geht um Feminismus, Kunst, Freund*innenschaft und Selbstinszenierung. Prickelnd, aber nie trivial – wie der Champagner, den sich die Podcasterinnen dazu einschenken. Von Marie Duchêne, mit Leila Alder als Host.
* Calla Henkel, Ruhm für eine Nacht, KeinundAber, 2022
#4 Trinkende Frauen, und Nichttrinken geht auch
In dieser Folge werden zwar Bottles gepoppt, aber kein Alkohol konsumiert. Leila Alder spricht mit Marie Duchêne über das Buch «Unabhängig – vom Trinken und Loslassen» von Eva Biringer. Die Autorin setzt sich in ihrem Erstling mit dem steigenden Alkoholkonsum von emanzipierten Frauen und ihrer persönlichen Geschichte mit dem Rauschtrinken auseinander. Sie plädiert darin für ein Leben ohne Alkohol dafür eines mit jeder Menge Klarheit. Von Leila Alder, mit Marie Duchêne als Host, und mit der Lesung von Eva Biringer.
# Eva Biringer, Unabhängig - vom Trinken und Loslassen, HarperundCollins, 2022
#5 Von Schakalen in Berlin
Ein Pulsierender, nie stillstehender und zu Ruhekommen wollender Ort. Dreh und Angelpunkt des Debütromans Hund Wolf Schakal von Behzad Karim Khani, der dieses Jahr im Hanser Berlin Verlag erschienen ist und für den Khani den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals erhielt. Diesen selbst so pulsierenden Roman nehmen wir in dieser Folge unter die Lupe. Hund Wolf Schakal handelt von den beiden Brüdern Saam und Nima sowie deren Vater Jamshid, die während der islamischen Revolution aus dem Iran nach Deutschland fliehen müssen – mitten nach Neukölln, welches von arabischen Gangs dominiert wird. Von Norma Eggenberger, mit Janica Madjar als Host.
* Behzad Karim Khani, Hund, Wolf, Schakal, Hanser, 2022
#6 Eine Skischanze, und ein Rätsel
Die Leserin befindet zum Beginn der Geschichte des Romans, im Frühsommerlichen Innsbruck, wohin der Protagonist Joshua seine Partnerin Lisa, Autorin und Stipendiatin in der Stadt, begleitet.Er selbst schreibt auch - in seiner Lebensphase aber, ohne Deadlines und Stress. Er nutzt die Zeit, in der Lisa an ihrem Roman arbeitet, für Entdeckungstouren in der Stadt. Im Restaurant der Bergisler Sprungschanze, wo Joshua sich einen Salat, einen Birnensaft und ein Espresso Macchiato bestellt, lernt er den sechzehnjährigen Skinachwuchsspringer Michael, in einem silbernen, weltraumähnlichen Anzug kennen. Von Janica Madjar, mit Norma Eggenberger als Host.
* Joshua Gross, Prana Extrem, Matthes und Seitz, 2022
#7 Über einen Helden, Antiheld seiner eigenen Geschichte
Seit dem 24. Februar 2022 um 6 Uhr morgens kennt alle Welt Wolodymyr Selenskyj. Ikonisch ist seither nicht nur sein militärgrünes T-Shirt. Quasi über Nacht wird der ukrainische Präsident zum Helden – zumindest sieht das der Westen so. Doch Wolodymyr Selenskyjs Karriere sah nicht immer so heldenhaft aus. Wir besprechen die Biografie über Wolodymyr Selenskyj der beiden französischen Journalisten Régis Genté und Stéphane Siohan, die einen Einblick in die turbulente Vergangenheit Selenskjs ermöglicht, aber auch über Konstruktion und Heldentum. Von Cindy Ziegler, mit Natalie Portmann als Host, und der Lesung von Gian-Luca Züst.
* Régis Genté und Stéphane Siohan, Wolodymyr Selenskyj – Geburt eines Helden, edition gai saber, 2022
#8 Unerhörter Lärm aus einer Welt der Stille
In der besetzten Stadt Vasenka erschießen Soldaten einen gehörlosen Jungen –
aus Protest verfällt die gesamte Stadt in Taubheit. Die «Republik der Taubheit» liest sich nicht nur wie eine Parabel auf das aktuelle Kriegsgeschehen, sondern ist auch eine große Liebesgeschichte und Elegie. Wo verläuft die Grenze zwischen Kaminskys «Republik» und unserer Welt? Wo verläuft die Grenze zwischen Gedicht und Erzählung? Diese und weitere Fragen beantworten wir in der letzten Folge von «lit.re», unter anderem mit der Übersetzerin Anja Kampmann. Von Anja Jeitner, mit Leonard Haverkamp und den Lesungen von Rosalie Kirchner.
* Ilya Kaminsky, Republik der Taubheit, Hanser, 2022