Mischt mensch einen Viertelliter anregende Literatur, 300 ml gute Gespräche und 200 ml Experimentierfreude mit dem Masterstudiengang Kulturpublizistik der Zürcher Hochschule der Künste, entsteht Lit.re – ein Literaturpodcast, in dem sechzehn Student:innen Bücher vorstellen, die sie bewegt, begeistert, beschäftigt haben. Quer durch die Genres und Gegenwartsdiskurse hinweg wird ein literarisches Werk diskutiert, das eine:r von ihnen besonders ans Herz gewachsen, aber auch für die Hörer:innen unbedingt lesenswert ist. Versprochen.
Entstanden im Seminar «Rezensionen» in der Masterclass Kulturpublizistik, ZHdK, im Wintersemester 2022 (Staffel 1) und im Wintersemester 2023 (Staffel 2) betreut von Christoph Keller, Dozent für Kulturpublizistik an der ZHdK.
Staffel 2
#1 Höhenangst, Saskia Winkelmann
Die namenlose Protagonistin ist 18 Jahre alt, steht kurz vor Ende des Gymnasiums, wohnt in einer nicht näher beschriebenen Schweizer Stadt, noch zuhause bei ihrer Mutter, und weiss nicht, was sie mit sich und dem Leben anfangen soll. Das alles ändert sich als Jo in ihre Klasse kommt. Jo ist wild, radikal und kümmert sich nicht, was andere denken. Jo führt die Protagonistin ein in die Welt des Ausgehens, die elektronische Musik, die Drogen und die Liebe. Gemeinsam erleben die Beiden berauschende Höhenflüge und schmerzhafte Abstürze – bis Jo nicht mehr aufwacht. Eine fein gezeichnete Geschichte über das Erwachsenwerden in seiner ganzen Komplexität. Von Natacha Rothenbühler mit Lorena Müller als Hostin.
#2 Liebes Arschloch von Virginie Despentes
Rebecca, Mitte fünfzig, Schauspielerin. Oscar, ähnliches Alter, Schriftsteller. Zoé, keine dreissig, feministische Socia-Media Aktivistin. Im digitalen Raum treffen die drei aufeinander. Sie sind alle vom Leben gezeichnet und wütig auf die Welt – und auf sich selbst. Rebecca und Oscar stehen stetig im Austausch, während Zoé die Geschichte mit ihren Social-Media Posts beeinflusst. Der anfangs hitzige und beschimpfende Mailverkehr entwickelt sich im Verlauf der Erzählung zu einem geistreichen Austausch. Despentes webt gekonnt aktuelle Debatten in die Handlung ein und vermittelt trotz Gesellschaftskritik Empathie und Menschlichkeit. Von Lorena Müller mit Nina Kneubühler als Hostin.
#3 I’m A Fan von Sheena Patel
Herkunft, Klasse, Macht und Gender stehen im Zentrum dieses Romans. Anhand der Dreiecksbeziehung zwischen der Erzählerin, einem renommierten Künstler und einer Influencerin werden Situationen abgehandelt, in denen verständlich wird, dass die drei Involvierten sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Privilegien geniessen. Während die Erzählerin, die selbst Kulturschaffende ist, alles tut, um die Aufmerksamkeit des Künstlers zu bekommen, führt dieser nebst seiner Ehe noch weitere Affären. Darunter hat es die Influencerin der Erzählerin besonders angetan und sie verbringt viele Stunden damit, in ihrem Instagram-Feed zu stöbern. Sowohl der Künstler, als auch die Influencerin stehen in einer sehr einseitigen Beziehung zur Erzählerin, die sich ihrer Position vollkommen bewusst ist. Von Nina Kneubühler mit Natacha Rothenbühler als Host.
#4 Grelle Tage von Selma Kay Matter
Auf einem austrocknenden See in Brandenburg begegnen sich Jo und ein Wolfshund, eine Figur dreizehn-, die andere dreizehntausendjährig. Desorientiert in einer sich immer schneller wandelnden Kulisse aus verdunstenden Gewässern und schmelzendem Permafrost irren die beiden ihren Missionen nach: Jo will den See vor dem Austrocknen bewahren, der Wolfshund zurück ins Eis, aus dem er herausgeschmolzen ist. Erst als dem Matterhorn die Spitze abfällt spannen die beiden zusammen, um dieses zu kitten. In Selma Kay Matters Theaterstück zerfällt nicht nur die Welt, sondern auch die Sprache, mit der sie beschrieben wird. Von Smilla Diener, mit Leonard Haverkamp als Host.
#5 Heinz Strunk, Der Gelbe Elefant
Wie oft setzen wir uns im Alltag wirklich mit unserem Gegenüber auseinander? In «Der Gelbe Elefant» studiert Heinz Strunk die Menschen, bei denen es oft beim ersten Eindruck bleibt - die in den meisten Geschichten höchstens eine Nebenrolle spielen. Aus Gedanken, die man sonst lieber für sich behält, entsteht eine Auseinandersetzung - mit oft sehr prekären Lebensrealitäten. Wer sich in diesem Buch nicht spiegelt, werfe den ersten Stein. Von Leonard Haverkamp, mit Maxine Ernie als Host und Lesungen von Selma Brosterhus.
#6 Yishai Sarid, Schwachstellen
Siv ist ein israelischer Hacker. Und nicht nur irgendeiner. Er ist der Einzige in seinem Unternehmen, der fähig ist, die Sicherheitslücken von Smartphones und anderen elektronischen Geräten zu finden. Obwohl er der Beste in seinem Fach ist, begleiten ihn moralische Fragen über seine Tätigkeit. Denn mit seiner Hilfe hört der Staat Regimekritisierende ab. Zwischen professionellem Ansehen und ethischem Skrupel versucht Siv, seine Position im Unternehmen zu navigieren – mit verheerenden Folgen. Der spannungsreiche Politthriller von Yishai Sarid bringt das Thema der künstlichen Intelligenz und deren Gebrauch und Missbrauch in Staatsapparaten in den Mittelpunkt und sorgt fürs Nachdenken – auch nachdem das Buch schon zugeklappt ist. Von Maxine Erni, mit Smilla Diener als Host.
#7 Elena Fischer, Paradise Garden
Das Buch ist herausgegeben vom Diogenes Verlag und widmet sich über 352-seitige Roman der Geschichte von Billie und ihrer Mutter, die zu zweit in einem Wohnblock am Stadtrand in bescheidenen Verhältnissen wohnen. Es ist Elena Fischers erster Roman und der ist sogleich durch die Decke! Mit einem Auszug aus ihrem Debütroman Paradise Garden gewann sie zudem den Literaturförderpreis der Landeshauptstadt Mainz für junge Autorinnen und Autoren. Von und mit Valeria Mazzeo und Sasha Müller als Hostin.
#8 Yvonne Eisenring, Nino – Und der Wunsch nach mehr
Alkohol, ständig wechselnde Affären und eine stockende Karriere als Texter bestimmen Ninos Leben in Berlin. Passiv lässt sich der Mittdreissiger durch seine Leben treiben und erst durch einen Brand in der eigenen Wohnung scheint dieser unbefriedigende Trott unterbrochen zu werden. Getrieben durch den Wunsch nach mehr lässt er Berlin hinter sich und geht nach New York.Der Debutroman von Yvonne Eisenring befasst sich mit den grossen und kleinen Fragen der Generation Y. In «Nino – Und der Wunsch nach mehr» geht es neben moderner Spiritualität, Liebe und Hoffnung vor allem um Beziehungen. Ninos Beziehungen zu den Frauen in seinem Leben sind Kern des Romans. Die Ich-Erzähler*innen wechseln sich rhythmisch ab, wodurch wir in die Dynamiken dieser Beziehungen abtauchen und uns zwischen Liebe, Trennung und Toxizität wiederfinden. Von Xena Paloma Stucki mit Valeria Mazzeo als Host.
Staffel 1
#1 Laura Cwiertnia, Auf der Strasse heissen wir anders
Karla wächst als Tochter eines armenischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bremen-Nord auf. Über die armenische Herkunft der Familie wird seit mehreren Generationen geschwiegen. Erst mit dem Tod der Grossmutter begibt sich Karla auf eine Spurensuche, die sie weit in die armenisch-türkische Geschichte zurückführt. In ihrem vielstimmigen Debütroman verwebt Laura Cwiertnia die persönlichen Schicksale einer Familie mit der Geschichte der armenischen Unterdrückung. Karolina Sarre und Susanna Bosch sprechen darüber, wie sich die Autorin erzähltechnisch geschickt an den Völkermord, den Kern eines Familientraumas, herantastet. Von Susanna Bosch, mit Karolina Sarre als Host, und mit Lesungen von Anja Jeitner.
#2 Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie
Die Chemikerin Elizabeth Zott versucht sich in den 1950er und 1960er Jahren in Südkalifornien in einer von Männern dominierten Forschungswelt zu behaupten. Nach dem Tod von ihrem Freund, dem Starchemiker Calvin Evans, bricht ihre Welt zusammen. Im Nachhinein erfährt sie auch noch, dass sie schwanger ist. Schwere Zeiten brechen an, doch zufällige Begegnungen führen sie in ein TV-Studio und kurze Zeit später steht sie bei einer Kochshow vor der Kamera. Doch bei «Essen um Sechs» geht es um Chemie statt um Rezepte. Sie verzaubert die Zuschauer:innen im Laborkittel und ermutigt Frauen, ihre Träume zu verfolgen. Von Karolina Sarre, mit Susanna Bosch als Host.
#3 Calla Henkel, Ruhm für eine Nacht
In dieser Folge sprechen Marie und Leila über ein Debüt, das es in sich hat. Die Künstlerin Calla Henkel bringt die Genres Roman und Thriller gekonnt unter einen Hut und erzählt die Geschichte von Zoe und Hailey, zwei New Yorker Kunststudentinnen in Berlin. Obwohl es in den Nullerjahren spielt, ist das Buch mehr als gegenwärtig, findet Marie, die es als Lektorin in- und auswendig kennt. Denn es geht um Feminismus, Kunst, Freund*innenschaft und Selbstinszenierung. Prickelnd, aber nie trivial – wie der Champagner, den sich die Podcasterinnen dazu einschenken. Von Marie Duchêne, mit Leila Alder als Host.
#4 Eva Biringer, Unabhängig - vom Trinken und Loslassen
In dieser Folge werden zwar Bottles gepoppt, aber kein Alkohol konsumiert. Leila Alder spricht mit Marie Duchêne über das Buch «Unabhängig – vom Trinken und Loslassen» von Eva Biringer. Die Autorin setzt sich in ihrem Erstling mit dem steigenden Alkoholkonsum von emanzipierten Frauen und ihrer persönlichen Geschichte mit dem Rauschtrinken auseinander. Sie plädiert darin für ein Leben ohne Alkohol dafür eines mit jeder Menge Klarheit. Von Leila Alder, mit Marie Duchêne als Host, und mit der Lesung von Eva Biringer.
#5 Behzad Karim Khani, Hund, Wolf, Schakal
Ein Pulsierender, nie stillstehender und zu Ruhekommen wollender Ort. Dreh und Angelpunkt des Debütromans Hund Wolf Schakal von Behzad Karim Khani, der dieses Jahr im Hanser Berlin Verlag erschienen ist und für den Khani den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals erhielt. Diesen selbst so pulsierenden Roman nehmen wir in dieser Folge unter die Lupe. Hund Wolf Schakal handelt von den beiden Brüdern Saam und Nima sowie deren Vater Jamshid, die während der islamischen Revolution aus dem Iran nach Deutschland fliehen müssen – mitten nach Neukölln, welches von arabischen Gangs dominiert wird. Von Norma Eggenberger, mit Janica Madjar als Host.
#6 Joshua Gross, Prana Extrem
Die Leserin befindet zum Beginn der Geschichte des Romans, im Frühsommerlichen Innsbruck, wohin der Protagonist Joshua seine Partnerin Lisa, Autorin und Stipendiatin in der Stadt, begleitet.Er selbst schreibt auch - in seiner Lebensphase aber, ohne Deadlines und Stress. Er nutzt die Zeit, in der Lisa an ihrem Roman arbeitet, für Entdeckungstouren in der Stadt. Im Restaurant der Bergisler Sprungschanze, wo Joshua sich einen Salat, einen Birnensaft und ein Espresso Macchiato bestellt, lernt er den sechzehnjährigen Skinachwuchsspringer Michael, in einem silbernen, weltraumähnlichen Anzug kennen. Von Janica Madjar, mit Norma Eggenberger als Host.
#7 Régis Genté und Stéphane Siohan, Wolodymyr Selenskyj – Geburt eines Helden
Seit dem 24. Februar 2022 um 6 Uhr morgens kennt alle Welt Wolodymyr Selenskyj. Ikonisch ist seither nicht nur sein militärgrünes T-Shirt. Quasi über Nacht wird der ukrainische Präsident zum Helden – zumindest sieht das der Westen so. Doch Wolodymyr Selenskyjs Karriere sah nicht immer so heldenhaft aus. Wir besprechen die Biografie über Wolodymyr Selenskyj der beiden französischen Journalisten Régis Genté und Stéphane Siohan, die einen Einblick in die turbulente Vergangenheit Selenskjs ermöglicht, aber auch über Konstruktion und Heldentum. Von Cindy Ziegler, mit Natalie Portmann als Host, und der Lesung von Gian-Luca Züst.
#8 Ilya Kaminsky, Republik der Taubheit
In der besetzten Stadt Vasenka erschießen Soldaten einen gehörlosen Jungen –
aus Protest verfällt die gesamte Stadt in Taubheit. Die «Republik der Taubheit» liest sich nicht nur wie eine Parabel auf das aktuelle Kriegsgeschehen, sondern ist auch eine große Liebesgeschichte und Elegie. Wo verläuft die Grenze zwischen Kaminskys «Republik» und unserer Welt? Wo verläuft die Grenze zwischen Gedicht und Erzählung? Diese und weitere Fragen beantworten wir in der letzten Folge von «lit.re», unter anderem mit der Übersetzerin Anja Kampmann. Von Anja Jeitner, mit Leonard Haverkamp und den Lesungen von Rosalie Kirchner.