Wenn Geschichten zu gut werden – Podcasts starten gerade durch, immer mehr Journalistinnen und Journalisten schielen in diese Richtung. Doch wir haben da ein Problem.
Kürzlich bat mich eine Kollegin, ich soll doch den Podcast, den sie gerade produziert habe, nochmals abhören, sie sei unsicher. Denn da erzähle einer, wie er obdachlos geworden, wie es zuerst mit seiner Firma bergab gegangen sei, dann der Streit mit seiner Frau, sie habe ihn aus der Wohnung geworfen. Ob man das so bringen könne, als ein Testimonial, schön gestaltet, eine eindrückliche Story, aber, fragte die Kollegin, ob das in Ordnung sei, dass der Obdachlose seine Frau unwidersprochen beschuldigen dürfe, ob das nach den journalistischen Regeln gehe.
Die Frage nach dem Verhältnis von Journalismus und Podcasts wurde bereits am Festival SonOhr vor einem Jahr gestellt.
Sandra Müller, preisgekrönte Autorin und Gründerin von «Fairradio» («If you can’t make it, don’t fake it») analysierte in ihrer Präsentation, wo im «dramatisierten» Journalismus Wahrheit endet und Fiktion beginnt. Und wie schmal diese Grenze ist, zeigte sich in der anschliessenden Diskussion über Jonathan Zentis vielzitierten Podcast «Meat»; darin erzählt der Autor sehr authentisch, wie er persönlich und erfolglos an Gewicht abzunehmen versuchte – offen blieb in der anschliessenden Diskussion, ob die Story also authentisch war, oder ob Jonathan Zenti das nur so erzählte, weil der persönliche Touch gut passt.
Das Beispiel zeigt, dass Podcasts, gerade weil sie vielfach aus der persönlichen, subjektiven Warte heraus erzählt werden, zur Konstruktion von Authentizität geradezu verleiten. Niemand wird fragen, ob die Geschichte der Rapperin Merry Royer, die auf «Arte Radio» erzählt, wie sie in einem gutbürgerlichen Haus in Paris als Concierge arbeitete, sich auch wirklich so abspielte; die Verführung des authentischen Erzählens ist gross genug, der subjektive Zugang des Podcasts obsiegt.
Und tatsächlich:
In der Subjektivität des Erzählens liegt ein enormes Potential für neue, vielfältige Formen der Audioproduktion, darin liegt der Erfolg vieler Podcasts wie «Death Sex and Money», oder von «Radio Diaries» oder von «Brise Glace» und von vielen Formaten auf «Viertausendhertz». Allesamt sind sie gute Erzählformate, es macht Spass, sich treiben zu lassen von der Geschichte. Und ja – es ist richtig, wenn professionelle Storyteller wie Sven Preger darauf verweisen, dass die amerikanischen Podcasts das besonders gut können: eine Story auf Augenhöhe erzählen, straight. «Storytelling» wird bald einmal gleichgesetzt mit «Erzählbarkeit», also mit einer eingängigen, emotionalen und durchwegs subjektiv geprägten Dramaturgie, die letztlich von hollywoodschem Handwerk geprägt ist.
Aber ob das alles mit den Erfordernissen des Journalismus in Einklang zu bringen ist?
Denn die Materialien des Journalismus sind der Widerspruch der Sichtweisen, das Unfertige jeder Erzählung, die Brüchigkeit jedes Arguments, die Bruchstückhaftigkeit jeder Biographie. Journalismus beruht, und das hat der Fall Claus Relotius deutich gezeigt, auf der Einsicht, dass Wirklichkeit immer sperriger ist, als eine gut erzählbare story; und wenn es denn zu einem Thema, in einer Recherche tatsächlich eine story zu erzählen gibt, dann im Wissen, dass sie allenfalls leitmotivisch zu verstehen ist oder beispielhaft, dass sie aber nie für die ganze Komplexität stehen kann.
Journalismus beruht auf dem Willen, die Komplexität der Erzählformen zu erhöhen, für eine Mehrschichtigkeit in der Handlung und in den Motiven einzustehen, für gegenläufige Narrative, gerade auch in Biographischen. Und journalistische Regeln, etwa die Richtlinien des Schweizer Presserats, verpflichten mit ihrem Einfordern von Wahrhaftigkeit oder Sachgerechtigkeit genau darauf, das, was ist, der Erzählbarkeit nicht zu opfern.
Nun sind interessanterweise gerade die Leuchttürme der amerikanischen Podcasts weniger darauf aus, eine Story süffig und schlank zu erzählen, sondern sie vielmehr zu problematisieren. «Serial» etwa performt Episode für Episode, wie verschlungen die Irrungen und Wirrungen einer Recherche sein können, «This American Life» ist mehr eine Dekonstruktion amerikanischer Identitäten und Biografien, und «Radiolab» (um nur dieses Beispiel noch zu nennen) ist vor allem ein komplexes, vielschichtiges Erzählen, Abwägen des Gegenstandes. Ein Zugang, den Schweizer Radio SRF kürzlich mit der Serie «Edi – Leben am Abgrund» ebenfalls ausprobiert hat, mit einigem Erfolg.
Rundum aber spriessen die subjektiv erzählten Podcasts munter (und in vielen Fällen muss man sagen: zum Glück), das alles im weitestgehend unregulierten, unkontrollierten medialen Raum. Hier, im Universum von Itunes, Spotify und Soundcloud misst sich das Renommée eines Podcasts nach Downloadzahlen, Kriterien für Qualität gibt es kaum. Da, wo die Geschichten auf der Strasse gesammelt, am Küchentisch zusammengemischt, auf der eigenen Website ins Netz gestellt werden, zerfliessen immer mal wieder die Grenzen zwischen «wahr» und «erfunden», es wird zugespitzt, manchmal vereinfacht, immer aber mit dem Anspruch, den «Spannungsbogen» aufrechtzuerhalten. Podcasts bedienen damit (wie auf anderen Kanälen, etwa bei Youtube) den Bedarf eines immer breiter werdenden Publikums an persönlichen, damit auch immer authentischen Erzählformen, sie sind so etwas wie Orte der Identifikation in einer immer unübersichtlichen Welt.
Oder es geht nur einfach um Unterhaltung. Denn die radikale Subjektivität ist auch ein Merkmal der sogenannten «Laberpodcasts», ob sie nun «Besser als Sex» heissen oder «Journalismus Y», es sind Podcasts, in denen sich Macherinnen und Macher, mal mit, mal ohne geladene Gäste, über ein bestimmtes Thema hermachen. Hier heisst es «Ich finde» oder «Ich glaube», hier darf unbesehen «Meinung» propagiert werden, was solange unproblematisch ist, als die Podcasts sich um Sex drehen oder ums Essen oder ums Wohnen.
Anders, wenn Podcasts politisch werden.
Denn der Podcastboom hat in den USA nicht nur unzählige Formate hervorgebracht, die mit diesen subjektiven, persönlich geprägten Zugängen Geschichten formen. Es gibt auch einen Boom an politischen Podcasts, von links bis ganz rechts. Wer sucht, findet lange Listen, in denen etwa der Rechtsaussen Michael Savage ebenso vorkommt, wie ein Podcast zur Frage, warum die Erde in Wirklichkeit flach ist. Es gibt Podcasts, in denen die Lügen von Donald Trump als heilige Wahrheit propagiert werden, und unzählige Podcasts widmen sich auch noch den abstrusesten Verschwörungstheorien. Sie formen neue, wenn auch abwegige Geschichten in einer Welt, die keine eindeutigen Narrative, also auch keine eindeutigen Bezugspunkte mehr bereithält.
Und bereits stehen Unternehmen am Start, die auf den Podcastmarkt drängen und mit diesem Medium ihre ganz eigenen, interessengeleiteten Stories erzählen wollen.
Auf «Viertausendhertz» haben sich kürzlich vier der drei Mitgründer des Podcastlabels darüber unterhalten, welche Trends in der Podcastszene in diesem Jahr zu erwarten sind. Dabei sind sich Hendrik Efert, Christian Conradi und Nicolas Semak nicht einmal darüber einig geworden, was einen Podcast denn eigentlich ausmacht; zu den journalistischen Kriterien sind sie nicht wirklich vorgedrungen.
Vielleicht sollte die Podcastcommunity intensiv über ein paar Qualitätskriterien nachdenken, und auch über Aspekte der Transparenz. Indem in einem ersten Schritt klargestellt wird, ob der betreffende Podcast auch Qualitätskriterien des guten Journalismus erfüllen will, oder ob er sich tatsächlich der radikal subjektiven Erzählung verschreibt, oder ob man sich beim Zuhören ganz in die Welt der Fiktion oder (auch) der Meinungsmache hineinbegibt.
Erschienen in edito 1/19, www.edito.ch